Rost an alten Glaubensnägeln
Künstlergruppe SCHAUM zeigt eine Konzeptausstellung in Rostock
von Matthias Schümann
Rostock. „Rostklopfer“ auf der Werft war früher das Berufsbild, das durchaus despektierlich jenen zugewiesen wurde, mit denen vermeintlich gar nichts anzufangen war. Da zeugt es von großartigem Ironieverständnis, wenn sich junge Leute, Künstler zumal, alter und abgehalfterter Gegenstände annehmen, um sie demonstrativ zu bearbeiten: Derartiges geschah am Freitagabend in der Galerie am Alten Markt in Rostock. Die fünf Künstlerinnen und Künstler der Rostocker Künstlergruppe „Schaum“ hatten sich etlicher uralter rostiger Nägel bemächtigt, um sie vor den Augen der Besucher in einer Performance gerade und buchstäblich weich zu klopfen. Um sie anschließend sauber einzutüten.
„Showing Balls“ lautet der Titel der Ausstellung, was man etwas weniger derb als „Stärke zeigen“ übersetzen könnte. Passend dazu der Slogan: „Wir wissen nicht, was es ist, aber es ist verdammt groß.“ Säkulare Kraftprotzerei auf der einen, tiefe Gottesgläubigkeit und Arbeit an den großen Menschheitsfragen auf der anderen Seite sind die Pole, zwischen denen sich diese Ausstellung bewegt. Die Künstlergruppe „Schaum“ besteht aus Alexandra Lotz, Wanja Tolko, Marc W1353L und Janet Zeugner. Es geht um ein gemeinsames Ganzes, das am Ende größer ist als jeder einzelne.
Einen Ausgangspunkt mag Janet Zeugners fensterfüllende Arbeit „Verschwindende Madonna“ bilden. Schon jetzt ist die Mutter Gottes nur schwer auf dem belichteten Fotopapier auszumachen. Sie wird während der Ausstellung immer mehr verschwinden, Zeichen für die abnehmende Bedeutung von Religion und Glauben in der heutigen Gesellschaft. Aber stimmt das überhaupt? Trotzig treten Tim Kellner und Wanja Tolko dieser Auffassung mit einer Holztafel samt Steckbuchstaben entgegen. Doch wo in der Kirche die Nummern der Lieder zu lesen sind, prangt hier der oben genannte Spruch. Richtig: Was auch immer „verdammt“ Großes auf uns zukommen mag – in dieser Kirche wird Star Wars-Regisseur George Lucas gefeiert.
Ähnlich gebrochen, oder besser: überlagert, sind auch die frei im Raum hängenden Arbeiten von Marc W1353L. Das „s“ – Signum der Künstlergruppe verdeckt auf einem Plakat das darunter liegende berühmte Superman – „S“. Pop und Postmoderne bilden eine nahezu undurchdringliche Schicht, durch die aber versteckte, verlorene oder vergessene Werte hindurchschimmern.
Einen anderen Ansatz wählt Alexandra Lotz, wenn sie eine Kunststoff-Schlangenhaut samt Hostie als modisches Accessoire einem auf einem Bügel hängenden Mantel um die Schultern legt. Paradiesische Absolution für eine auf Oberfläche getrimmte Modewelt. Noch deutlicher bei Wanja Tolko. In der Form eines Kreuzes wurde ein Bündel Kunststoffseile erhitzt. Unten zur Kreuzform verschmolzen, oben fliegende Fäden, ein undefinierbares Gewirr. Dazu ein Titel à la Magritte: „Das ist kein Kreuz“. Pop-Moderne auch hier: Das Kreuz ist sichtlich von Malewitsch inspiriert und findet sich in vielfacher Verarbeitung unter anderem bei Rockbands wie Laibach oder Rammstein.
Der Zusammenhang der Arbeiten macht diese Ausstellung zu einem Ereignis. Das einzelne Werk, darunter etliche Kollaborationen der Künstler untereinander, kann dabei auch für sich bestehen: Die Aquatinta-Etüden auf Musikinstrumente von Alexandra Lotz. Das Diptychon wichtiger Orte samt GPS-Daten in Graphit von Tim Kellner. Die Blasen-Menschen von Wanja Tolko, der ebenfalls dem Vergessen anheimgegebene „Traum von Raphael“ von Janet Zeugner. Die Homer-Shakespeare-Überlagerung von Marc W1353L. Die Schau zeigt auch, welchen immensen Assoziationsraum allein der Name der Gruppe eröffnet. Vordergründig ist „Schaum“ bei grundlegenden Werten angekommen, bei rostigen Nägeln. Wie komplex und absolut zeitgemäß damit umgegangen werden kann, beweist diese Ausstellung. Und das ist verdammt groß.
Bis 21. Mai „Showing Balls“ von Schaum; 29. Mai, 21.00 Uhr „Zuführung“, eine Performance von „Schaum“ zur Rostocker Kunstnacht
Galerie am Alten Markt, Alter Markt, 19, 18055 Rostock, Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.30 Uhr, Sonnabend 9.30 bis 15.30 Uhr